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Wenn die Schwester auch die Mutter ist


M.E.L.I.N.A Inzestkinder/Menschen aus VerGEWALTigung e.V. hilft Inzestbetroffenen, sich aus dem Inzestsystem zu lösen


Von Ingrid Jennert


Stuttgart (epd). Inzest und inzestuöser sexueller Kindesmissbrauch sind die bestgehütesten Familiengeheimnisse - und Verbrechen mit der höchsten Dunkelziffer. Darum können inzestuöse Strukturen nur von außen aufgebrochen werden, sagt Ulrike M. Dierkes, selbst Vater-Tochter-Inzestkind und Gründerin des M.E.L.I.N.A Inzestkinder/Menschen aus VerGEWALTigung e.V., der Kindern zu ihren Rechten verhilft, die nach inzestuösem Missbrauch geboren wurden. Der Name des Vereins leitet sich aus ihrem ersten Roman "Melina's Magie" ab.

Ulrike M. Dierkes ist selbst "das Produkt" eines Vater-Tochter-Inzests: "Ich wuchs auf in der Isolation eines tabuisierten Verbrechens." Sie war zehn Jahre alt, als sie erfuhr, dass ihr Vater auch ihr Großvater ist, ihre Mutter auch ihre Schwester, und ihre vermeintliche Mutter ihre Großmutter. Das war kurz bevor der Vater aus dem Gefängnis zurück kam. Er hatte seine Tochter ab ihrem 7. Lebensjahr missbraucht und vergewaltigt. Sie war 13 Jahre alt, als sie mit Ulrike schwanger wurde.


Laut Statistik des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter werden jährlich etwa 15.000 Missbrauchsfälle von Kindern im Alter unter 14 Jahren angezeigt. Im Jahr 2002 standen ihnen nur etwa 2.200 Verurteilungen gegenüber - weil die Dunkelziffer bei Inzest sehr hoch ist und die Tatverdächtigen nur selten ermittelt werden.


75 Prozent aller bekanntgewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs passierten innerhalb der Familie, und betreffen Minderjährige, erläutert der Stuttgarter Rechtsanwalt und Fachbeirat im Vorstand von M.E.L.I.N.A e.V., Thomas Eschle. Sexueller Missbrauch von Minderjährigen wird nach Paragraf 176 Strafgesetzbuch (StGB) mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet. Dierkes zufolge gibt es einen gravierenden Unterschied zum Kindesmissbrauch durch Fremdtäter. Inzestuöser Missbrauch würde fast immer als Familiengeheimnis gehütet werden.


Die Opfer würden fast durchgehend mit dem Tabu belegt, nicht darüber zu reden. In der Folge würden innerfamiliäre Verbrechen oft über Jahrzehnte nicht aufgedeckt, oder erst, wenn sie verjährt sind.


Wenn der Vater die eigene Tochter sexuell missbraucht und vergewaltigt, der Bruder mit der Schwester den Geschlechtsverkehr vollzieht, der Onkel die Nichte sexuell missbraucht oder die Mutter den eigenen Sohn, die Großmutter den Enkel oder die Tante den Neffen, dann ist das Inzest - und nach Paragraph 173 StGB strafbar. "Ob mit oder ohne körperliche Gewalt sind sexuelle Beziehungen innerhalb der Familie eine Grenzüberschreitung, die in den meisten Fällen mit Machtmissbrauch, Manipulation und Übergriffen einhergehen", sagt Dierkes.


Inzest kann mit bis zu zwei Jahren Haft oder einer Geldstrafe bestraft werden


Diese Sicht teilt auch das Bundesverfassungsgericht. Der Beischlaf zwischen leiblichen Geschwistern bleibt verboten, urteilten die Richter am 13. März. Die Strafvorschrift im Strafgesetzbuch ist demnach mit dem Grundgesetz vereinbar. Danach kann Inzest mit bis zu zwei Jahren Haft oder einer Geldstrafe bestraft werden. Die Richter wiesen die Verfassungsbeschwerde eines Mannes aus Leipzig ab, der mit seiner Schwester vier Kinder hat.


Die Einschränkung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung sei gerechtfertigt, weil der Beischlaf zwischen Geschwistern nicht nur das Paar betreffe, sondern in die Struktur der Familie und in die Bevölkerung hinein wirken könne. Es gehe um die Bewahrung der familiären Ordnung. Kinder aus Inzestbeziehungen hätten große Schwierigkeiten, ihren Platz im Familiengefüge zu finden, so das Gericht.


Wenn Mädchen durch Inzest schwanger werden, würden diese "Folgen" meistens durch Abtreibung vertuscht. In vielen Fällen aber sei es für eine Abtreibung zu spät, sagt Dierkes. "Dann kommen diese Kinder zur Welt und sind der lebendige Beweis eines Verbrechens an ihren Müttern." Sie seien daher für die Täter eine Bedrohung, und in hohem Maße gefährdet, ebenfalls Opfer dieser Verbrecher zu werden. Ganz abgesehen von den seelischen und in etwa 30 Prozent der Fälle auch geistigen und körperlichen Schädigungen, die die Betroffenen davontragen.


Täglich erhielten die Mitarbeiter von M.E.L.I.N.A e.V. in Stuttgart zwei bis drei Anrufe von Inzestopfern. Nicht selten seien es auch männliche Klienten, so Dierkes. Wer es wage, über die Vorkommnisse zu reden, verliere die Familie und werde als Verräter behandelt. Das sei vor allem dann zu beobachten, wenn der Täter das Familienoberhaupt ist. Er werde alles tun, um den Willen seines Opfers, dem Inzestsystem zu entkommen, zu brechen. Inzeststrukturen können daher nur von außen aufgebrochen werden. Darin sind sich die Mitarbeiter von M.E.L.I.N.A e.V. und Kriminalexperten einig. Dierkes: "Nicht ehelich, Kindesvater unbekannt", mit dieser Formulierung beginne häufig die Biografiefälschung bei Inzestkindern in den amtlichen Meldebögen.


Der Verein begrüßt deshalb die jetzt zugelassene Vaterschaftsfeststellung, die die Beweisführung gegen mögliche Täter erleichtere. Anonyme Geburten und Babyklappen lehnt Dierkes strikt ab, weil dadurch unter Umständen der Vertuschung des Inzests Vorschub geleistet werde. Gerade bei Teenagerschwangerschaften müssten Behörden und Sozialarbeiter genauer hinsehen, fordert die Expertin. Diese Fälle sollten immer auf inzestuöse Hintergründe hin untersucht werden.


Täter nicht zu Opfern stilisieren

Dierkes warnt davor, Täter zu Opfern zu stilisieren, weil sie früher selbst einmal missbraucht worden seien. "Kein Mensch ist verpflichtet, was ihm angetan wurde, fortzusetzen und zu wiederholen," sagt sie. Sie hat ihre eigene Geschichte nach einer Psychoanalyse mit dem Schreiben von Büchern aufgearbeitet. Zuletzt erschien ihre Autobiografie im Bastei-Lübbe Verlag: "'Schwestermutter' - ich bin ein Inzestkind".


M.E.L.I.N.A e.V. hilft Inzestopfern und Inzestkindern


Der Stuttgarter Verein will aufklären und die Bevölkerung für das Problem des Inzests, vor allem der Befindlichkeit von Inzestopfern und Inzestkindern sensibilisieren. Deshalb schult Ulrike M. Dierkes auf Anforderung auch Mitarbeiter der Kriminalpolizei, karitative und soziale Einrichtungen, wie zuletzt dem Bund deutscher Kriminalbeamter, oder Landesjugendämter. Sie wird in juristische wie auch karitative Workshops eingeladen. M.E.L.I.N.A e.V. hilft, Inzest aufzudecken, erstattet wenn nötig Anzeige, informiert über die Abstammungsklärung per DNA-Analyse oder Gutachten humanbiologischer und rechtsmedizinischer Instituter. Auch kümmern sich die Fachleute im Verein um die Beweissicherung und Dokumentation der Fälle, informieren über Rechte nach der UN-Kinderrechtskonvention und begleiten Opfer individuell durch alle behördlichen Instanzen. Begegnung und Erfahrungsaustausch kommen ebenfalls nicht zu kurz. Falls erforderlich und erwünscht können die Fachleute des Vereins auch geschützte Unterkünfte organisieren. jt




Weitere Informationen:  epd sozial Nr. 13 vom 28. März 2008

Nickname 28.03.2008, 22.31

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